Wirtschaftliche Wechselwirkungen in Abfindungsklauseln
Scheidet ein Arzt oder Zahnarzt aus einer in der Rechtsform einer Personengesellschaft geführten Berufsausübungsgemeinschaft aus, hat er in der Regel einen Abfindungsanspruch [1]. Dies gilt bei gesellschaftsvertraglich vereinbarter Fortführung der Gesellschaft nach dem Ausscheiden des Gesellschafters unabhängig davon, ob das Ausscheiden zu einer Anwachsung der Gesellschaftsanteile bei den verbleibenden Gesellschaftern führt oder eine Veräußerung an einen Dritten vorliegt.
Als Ausgleich für den Verlust seiner Beteiligung an der Gesellschaft (steuerrechtlich „Mitunternehmerschaft“) und den damit verbundenen Rechten erhält der Ausscheidende ein Äquivalent, das in Form einer Barabfindung, Abfindung in Sachwerten (mit oder ohne Spitzenausgleich) oder durch Übernahme negativer Kapitalkonten des Ausscheidenden geleistet werden kann [2]. Dabei ist der Wert des Gesellschaftsanteils nach der Rechtsprechung des BGH als Anteilswert auf Basis des Verkehrswerts der Gesellschaft unter der Prämisse der Unternehmens- bzw. Praxisfortführung anzusetzen [3].
Der Verkehrswert eines Unternehmens oder einer Praxis umfasst grundsätzlich die Summe der Buchwerte der Aktiva zuzüglich stiller Reserven in den aktivierten Wirtschaftsgütern, abzüglich stiller Lasten in den aktivierten Wirtschaftsgütern sowie i.d.R. die Verkehrswerte selbstgeschaffener immaterieller Wirtschaftsgüter, die steuerlich einem Aktivierungsverbot unterliegen. Während vor allem bis in die siebziger Jahre die den Verkehrswert determinierenden Wirtschaftsgüter einzeln im Rahmen sogenannter Substanzwertverfahren bewertet und anschließend zum Verkehrswert aufsummiert wurden, besteht heute in der Bewertungstheorie, -praxis und Rechtsprechung Einigkeit darüber, dass der Verkehrswert eines Unternehmens als Ganzes auf Basis zukünftig möglicher Erfolge zu berechnen ist [4]. Hierbei finden in der klassischen Unternehmensbewertung i.d.R. Gesamtbewertungsverfahren Anwendung, im Rahmen der Bewertung von Freiberuflerpraxen werden Modifikationen bevorzugt, die i.d.R. zu gemischten Bewertungsverfahren führen [5]. Diese sind grundsätzlich durch die Kombination einer Ertragswert- und einer Substanzwertkomponente gekennzeichnet [6].
Mit Ausscheiden aus der Gesellschaft entfällt auch die Gesellschafterstellung des Ausscheidenden, was folglich einen Wegfall der damit verbundenen Gesellschafterrechte bedingt [7]. Ein wesentliches Gesellschafterrecht ist das Recht auf den Gewinnanteil [8]. Dieser ist dementsprechend bis zum Ausscheiden zu ermitteln, so dass die Gesellschaft auf den Ausscheidensstichtag eine Stichtagsbilanz aufstellt. In dieser sind auf der Aktivseite neben dem Anlagevermögen auch alle Positionen des Umlaufvermögens, wie bspw. Forderungen, Warenbestände, Bank- und Kassenguthaben, etc., sowie aktive Rechnungsabgrenzungsposten zu erfassen. Die Passivseite der Bilanz bilden die fortgeschriebenen Kapitalkonten, Verbindlichkeiten, Rückstellungen und passive Rechnungsabgrenzungsposten [9]. Das fortgeschriebene Kapitalkonto eines jeden Mitunternehmers enthält alle seine Gewinn- und Verlustanteile sowie Einlagen und Entnahmen [10]. Dementsprechend gibt der Kapitalkontensaldo des Ausscheidenden am Ausscheidensstichtag bei einem positiven Saldo den noch entnahmefähigen Gewinn bzw. bei einem negativen Saldo den zu viel entnommenen Gewinn an. Des Weiteren enthält das Kapitalkonto eines Mitunternehmers auch immer seinen Anteil am Gesamthandsvermögen zu Buchwerten [10].
Erhält nun ein Gesellschafter bei Ausscheiden zum einen eine verkehrswertbasierte Abfindung für den Wegfall seiner Gesellschafterstellung und dem damit einhergehenden Wegfall des Bezugs zukünftiger Gewinnanteile sowie zum anderen die Auszahlung seines positiven Kapitalkontenstands und somit in der Vergangenheit erwirtschaftete und bisher nicht entnommene Gewinnanteile, enthalten beide Zahlungskomponenten die anteiligen Buchwerte. Entsprechend ist das Kapitalkonto zur Vermeidung einer doppelten Erfassung von Gesamthandsvermögen um die Buchwerte zu bereinigen.
Die Bereinigung des Kapitalkontos anstatt der Abfindung um die anteiligen Buchwerte ist, unabhängig von etwaigen rechtlichen Vorgaben, aus wirtschaftlicher Sicht verursachungsgerecht. Sowohl ein Auszahlungsanspruch aufgrund eines im Ausscheidenszeitpunkt positiven Kapitalkontensaldos als auch der Abfindungsanspruch bestehen gegenüber der Gesellschaft [12]. Hiervon kann (gesellschafts-)vertraglich bspw. dann abgewichen werden, wenn ein Gesellschafter bei gleichzeitiger Aufnahme eines Nachfolgers ausscheidet und der neueintretende Gesellschafter anstelle einer Einlagepflicht gegenüber der Gesellschaft die Abfindung an den Ausscheidenden zu leisten hat [13]. Da der Bestand der Gesellschaft infolge eines Gesellschafterwechsels unberührt bleibt, werden die Buchwerte der Stichtagsbilanz der Gesellschaft nach dem Gesellschafterwechsel unverändert fortgeführt [14]. Durch den Eintritt des Neugesellschafters in die Rechtsposition des Ausscheidenden stehen ihm fortan Gesellschafterrechte einschließlich des Gewinnbezugsrechts zu. Dementsprechend partizipiert der Neugesellschafter zukünftig an den Abschreibungen der Gesamthand, so dass er folglich das anteilige Abschreibungsvolumen, respektive die anteiligen Buchwerte, zu erwerben hat [15].
Was können wir für Sie tun?
Der Anspruch auf eine Abfindung dem Grunde nach sowie dessen Form und Wertermittlung sind zentrale rechtliche und wirtschaftliche Anknüpfungspunkte, die zwischen den Gesellschaftern im Gesellschaftsvertrag grundlegend und eindeutig zur Erzielung der gewünschten rechtlichen und wirtschaftlichen Wirkung geregelt werden sollten. Voraussetzung zur Erzielung der gewünschten wirtschaftlichen Wirkung ist, wie der dargestellte Sachverhalt anschaulich anhand eines Beispiels beschreibt, eine Abstimmung aller Wertkomponenten aufeinander. Wir beraten Sie umfassend und kompetent bei der wirtschaftlichen Ausgestaltung von Abfindungsklauseln einschließlich zu allen Fragen rund um die Bewertungsmethodik im Rahmen der Verkehrswertermittlung. Hierbei kommt Ihnen unsere langjährige Branchenexpertise zu gute. Bitte sprechen Sie uns an!
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[1] Gleiches gilt auch für den Arzt oder Zahnarzt, der ausscheidender Gesellschafter in einer MVZ GmbH ist, vgl. hierzu bspw. Fastrich in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 34 Rn. 22, 2017
[2] Vgl. Geeb, in: Frotscher/Geurts, EStG, § 16 EStG Rn. 171, 2019; vgl. zu den Möglichkeiten der Sachwertabfindung bspw. Kußmaul, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, 8. Auflage, 2020, S. 277
[3] Vgl. Schäfer, in: MüKoBGB, BGB, § 738 BGB Rn. 32, 2020
[4] Vgl. bspw. Mandl/Rabel, Unternehmensbewertung, 1997, S. 46ff.; zur geschichtlichen Entwicklung der Unternehmensbewertung bspw. Quill, Interessengeleitete Unternehmensbewertung, S. 13ff.
[5] Vgl. bspw. zur Bewertung von Freiberuflerpraxen Leuner, in: Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 7. Auflage, 2019, S. 1193; zur Anwendung von Gesamtbewertungsverfahren bspw. Hering, Unternehmensbewertung, 3. Auflage, 2014, S. 28ff.
[6] Vgl. bspw. Matschke/Brösel, Unternehmensbewertung, 4. Auflage, 2013, S. 497
[7] Vgl. Schäfer, in: MüKoBGB, BGB, § 738 BGB Rn. 6, 2020
[8] Vgl. Saenger, Gesellschaftsrecht, 5. Auflage, 2020, S. 50
[9] Siehe zu den Bestandteilen einer Bilanz § 266 HGB
[10] Vgl. bspw. von Fränznick/Hoffmann/Lang, Besteuerung der Personengesellschaften, 2015, S. 244
[11] Vgl. Henning, Doppelte Buchführung, 2. Auflage, 1956, S. 49ff.; Schneeloch/Meyering/Patek, Betriebswirtschaftliche Steuerlehre Band 2, 7. Auflage, 2017, S. 162
[12] Vgl. Koch, in: BeckOGK, BGB, § 738 BGB Rn. 24
[13] Vgl. Koch, in: BeckOGK, BGB, § 738 BGB Rn. 26
[14] Vgl. Koch, in: BeckOGK, BGB, § 738 BGB Rn. 10; es liegt in diesem Fall keine Einbringung nach § 24 UmStG vor (vgl. hierzu Brähler/Krenzin, Umwandlungssteuerrecht, 10. Auflage, 2017, S. 576)
[15] Da der an den ausscheidenden Gesellschafter gezahlte Kaufpreis bei Arzt- und Zahnarztpraxen i.d.R. die anteiligen Buchwerte übersteigt, kommt es zur Aufdeckung stiller Reserven. Diese sind aufgrund des geltenden Anschaffungskostenprinzips vom Erwerber in einer Ergänzungsbilanz zu aktivieren und stellen folglich ebenfalls Abschreibungsvolumen dar.